In unserer heutigen Zeit ist es eine Besonderheit, einen handschriftlichen Text zu verfassen. Seit Jahrzehnten wird nahezu alles digitalisiert, vereinheitlicht und besonders Schriften sollen sich nicht mehr durch Individualität, sondern durch Perfektion und Einheitlichkeit auszeichnen. Doch gerade die Individualität einer Handschrift macht die geschriebenen Worte sehr persönlich.
Schreiben als kreativer Prozess ist Ausdruck der eigenen Gedanken. Man nimmt sich bewusst Zeit, um darüber nachdenken, was man schreiben möchte. Denn Geschriebenes mehrfach zu löschen oder einen kompletten Paragrafen neu zu schreiben, kommt selten infrage. Wir müssen unsere Gedanken ordnen und bewusst überlegen, was wir Schreiben, um das Geschriebene so zu vermitteln, dass man es versteht – ohne viele Versuche oder Smileys. Aber es lohnt sich, den Schreibprozess für sich zu nutzen, um die eigenen Gedanken zu verarbeiten und bewusst als Ritual zu zelebrieren. So lässt es sich z. B. besonders gut in einer inspirierenden Umgebung Schreiben, um den Gedanken freien Lauf zu lassen. Ganz nebenbei lässt sich vielleicht auch mit einem Brief oder einer Grußkarte einer anderen Person eine Freude bereiten. Denn dabei nehmen wir uns ganz bewusst Zeit für einen anderen Menschen und schaffen eine Verbundenheit. Gerade in unserem schnelllebigen Alltag stellt dies eine Besonderheit dar. Denn ein Brief ist weniger vergänglich als die 25. E-Mail, die im Postfach eintrudelt.
Darüber hinaus ist das therapeutische Schreiben von Texten ein guter Weg, um mit seinen Gedanken, Erfahrungen oder belastende Situationen besser umzugehen. Denn Stress, Traumata, Krankheitsdiagnosen und weitere unerwartete Ereignisse können uns aus der Bahn werfen und für eine lange Zeit beschäftigen. Das Grübeln und Nachsinnen kann einen negativen Effekt auf unsere mentale Gesundheit haben und zu psychischen Erkrankungen führen (Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörung).
Aber warum kann schreiben helfen?
Schreiben hilft uns dabei, besser über unsere Erfahrungen und Gefühle zu berichten. Hierbei werden die Gedanken organisiert und traumatischen Ereignissen wird eine Bedeutung gegeben. Somit lassen sich Gefühle besser regulieren und die Geschehnisse können besser eingeordnet werden, um aus dem endlosen Kreislauf von Grübeln und Nachsinnen auszubrechen. Das bewusste Schreiben hilft uns dabei, sich auf aktuell laufende Dinge zu konzentrieren, unseren Kopf von der Überflutung der Gedanken zu befreien und Raum in unserem Kopf zu schaffen.
Nachdem wir uns einem Blatt Papier geöffnet haben, fällt es uns meist auch leichter, mit anderen Personen über unsere Erfahrungen zu sprechen und Hilfe im sozialen Raum zu suchen. Denn das Schreiben hat für uns zunächst eine geringere Hürde, als direkt mit jemandem über ein belastendes Thema zu sprechen. Haben wir diese erste Hürde gemeistert und unsere Gedanken geordnet, fällt es uns meist leichter, danach mit jemandem zu sprechen. Zudem eröffnet sich uns durch das Schreiben eine neue Perspektive auf die Dinge – besonders, wenn wir das Geschriebene erneut lesen und gedanklich ergänzen. Dies führt wiederum zu weiteren positiven Effekten.
Studiencheck: Expressives Schreiben wissenschaftlich geprüft – was bringt Schreiben wirklich?
Das Schreiben über die eigenen Gefühle kann sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit verbessern (Spera, Buhrfeind & Pennebaker, 1994). In seiner Studie fand Pennebaker (2004) heraus, dass das Schreiben über traumatische Ereignisse zu selteneren Besuchen bei Ärzten sowie zu einer verringerten Einnahme von Schmerzmitteln führte. Hierfür testete er 46 College-Studenten. Die Experimentalgruppe sollte über 4 Tage hinweg täglich 15 Minuten über ein traumatisches Ereignis und die eigenen Gefühle schreiben. Die Kontrollgruppe hingegen sollte in diesem Zeitraum über ein oberflächliches Thema schreiben. Die Gruppe, die über ihre traumatischen Erlebnisse und Gefühle schrieb, nahm weniger Schmerzmittel ein und suchte seltener einen Arzt auf. Weitere Studien konnten nach diesem Versuchsaufbau ähnliche Ergebnisse finden.
Zudem fanden Spera, Buhrfeind & Pennebaker (1994) in ihrer Studie heraus, dass das Schreiben über die eigenen Gefühle motivierend wirken kann. Sie untersuchten eine Gruppe von gekündigten Ingenieuren und ließen einen Teil von ihnen über ihre Gefühle schreiben, den anderen Teil nicht. 52 % der Ingenieure, die über ihre Gefühle schrieben, haben innerhalb von 8 Monaten einen neuen Job gefunden. Von den Ingenieuren in der Kontrollgruppe, die nicht über ihre Gefühle schrieben, hatten nach 8 Monaten lediglich 19 % einen neuen Job angetreten.
Alltagscheck
Teste ab und an, über deine Gefühle zu schreiben. Egal wann, egal wo. Nimm dir einen Zettel und einen Stift und versuche einfach zu starten. Achte darauf, wie du dich danach fühlst. Fühlst du dich erleichtert oder gestärkt? Teile deine Erfahrungen mit uns.
Tipp: Es ist nicht entscheidend, wie oft du schreibst oder dass du ständig schreibst. Es genügt, wenn dir danach ist und du denkst, in diesem Moment könnte es helfen. Mach das Schreiben nicht zu einer lästigen Pflicht, sondern zu einem Helfer, der für dich da ist, wenn du ihn brauchst.
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Quellen (zum erweitern klicken)
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