Einsamkeit: Warum Briefeschreiben hilft.

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einsame alte frau auf einer strasse

Stell dir vor, du bist 85 Jahre alt und lebst im Altenheim. Dein*e Partner*in ist vor Kurzem gestorben, deine Kinder sind mit ihren alltäglichen Herausforderungen beschäftigt und du möchtest niemandem zur Last fallen. 

Deine körperlichen Leiden schränken dich im Alltag ein. Du hast Probleme mit deinen Augen und Ohren, sodass dir das Lesen, Fernsehen schauen und Musik hören schwer fällt. Nachts schläfst du wegen deiner Schmerzen kaum und das Laufen fällt dir von Tag zu Tag schwerer. Du bist froh, dass man sich im Altenheim um dich kümmert, fühlst dich aber sehr allein. Deine Geschwister sind verstorben, die meisten deiner Freunde auch und deine Kinder und Enkel möchtest du nicht mit deinen Problemen belasten. Du willst noch eigenständig sein und niemandem zur Last fallen.

Die meisten deiner Mitbewohner*innen im Altenheim sind nett, viele verstehen dich aber kognitiv nicht mehr. Die Pfleger*innen sind gut zu dir, aber auch gestresst, weil sie häufig unterbesetzt sind. Und dann kommt die Corona-Pandemie. Plötzlich fällt der Termin weg, auf den du dich jeden Monat am meisten freust: der Sonntag, an dem deine Kinder dich besuchen.

Das klingt nach einer ziemlich traurigen Vorstellung, oder? Das ist sie auch. Und sie betrifft leider viele von uns. 

Folgen von sozialer Isolation

Soziale Isolation ist der Alltag von vielen Menschen. Seien es ältere Menschen, erkrankte Menschen oder Menschen, die nicht integriert sind. Im Zuge der Corona-Pandemie sind wir alle sozial isoliert – die einen mehr, die anderen weniger. Die soziale Isolation führt häufig zu Gefühlen der Einsamkeit und damit verbunden zu Ängsten, Depressionen und auch gesundheitsgefährdenden Verhaltensweisen, wie z. B. Rauchen oder Alkoholkonsum. Denn die kleinen Interaktionen des Alltags fehlen uns und scheinen wichtiger zu sein, als uns vielleicht bewusst ist: das Lächeln auf dem Weg zur Arbeit, das Gespräch in der Kaffeeküche oder einfach mal mit jemandem zwischen Tür und Angel zu schnacken. 

Was für uns im letzten Jahr durch die soziale Isolation Alltag wurde, ist für viele Menschen auch ohne Pandemie alltäglich. Viele leiden permanent unter sozialer Isolation und müssen mit den Folgen zurechtkommen: Einsamkeit und eine Tristesse des Alltags, die mit Leben gefüllt werden will.

Die eigene Erfahrung mit sozialer Isolation und ihren Folgen führen uns vor Augen, was andere Menschen schon lange erleben und wie stark das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, Gesprächen, Verbundenheit und einem Austausch im Alltag ist.

Wie können wir diese Erkenntnis über soziale Isolation nutzen und uns gegenseitig unterstützen?

Die Antwort ist: durch kleine Taten der Freundlichkeit und durch kleine Aufmerksamkeiten im Alltag. Denn diese können das Gefühl der Einsamkeit und des Alleinseins reduzieren und eine Verbundenheit untereinander schaffen, um uns nicht nur besser zu fühlen, sondern auch anderen ein besseres Gefühl zu geben. Denn durchs Helfen, setzt unser Körper verschiedene Botenstoffe (z. B. Serotonin oder Dopamin) frei, die uns ein belohnendes Gefühl geben, unsere Laune verbessern, das Herz ruhiger schlagen lassen und Stress abbauen. Wenn wir von Herzen miteinander kommunizieren und durch einen Austausch, das Verfassen von Texten oder Mitteilungen ein positives Erlebnis schaffen, können wir anderen eine Freude bereiten – mit kleinem Aufwand, aber großen Effekten für uns selbst und andere.

Warum Briefe eine besondere Bedeutung haben…

Wir verfassen täglich unzählige Nachrichten. Ob per E-Mail, WhatsApp oder in sozialen Medien. Kleine Textnachrichten und soziale Interaktionen sind Teil unseres Alltags – gerade im Homeoffice nimmt die tatsächliche aktuelle Interaktion ab und die schriftliche Kommunikation ist aktueller denn je.

Doch wann hatten wir das letzte Mal einen Stift in der Hand, um mehr als nur einen Einkaufszettel zu schreiben? Wie häufig setzen wir uns hin und widmen einer Person handschriftlich ein paar persönliche Worte?

Die Antwort ist: eher selten. Denn zwischen all unseren Rechnungen, Werbeprospekten und Bestellungen besteht unsere Post weniger aus Grußkarten oder persönlichen Briefen. Dabei hat es viele Vorteile handschriftlich ein paar Zeilen niederzuschreiben.
Denn sich bewusst Zeit zu nehmen, jemandem persönliche Worte handschriftlich zu widmen, ist nicht nur eine Form der Anerkennung und Wertschätzung, die anderen eine Freude bereitet. Ein Schriftstück schafft auch eine persönliche Verbindung zwischen zwei Personen. Wir verschenken unser kostbarstes Gut: Zeit. Wir nehmen uns ganz bewusst diese Zeit für einen anderen Menschen und schaffen eine Verbundenheit. Gerade in unserem schnelllebigen Alltag schafft dies eine Besonderheit. Denn ein Brief ist weniger vergänglich als die 25. E-Mail, die im Postfach eintrudelt. Er schafft mehr Realität, da wir ihn nicht nur sehen, sondern auch anfassen, spüren und sogar riechen können. 

Besonders für ältere Menschen haben Briefe eine große Bedeutung. Denn sie sind meist sehr allein, möchten niemandem zur Last fallen und stellen ihre Bedürfnisse zurück. Meist sind im Alter die Zeiten vorbei, in denen man neue Leute kennenlernt und die Anzahl der Kontakte reduziert sich, anstatt sich zu vermehren. Durch einen Brief kann eine neue Freundschaft entstehen und eine Beziehung unvorbelastet wachsen – ohne dabei jemandem zur Last zu fallen. Es wird eine Verbindung zwischen Generationen auf tiefster menschlicher Ebene geschaffen – ohne äußerliche Oberflächlichkeiten. Zudem wird eine Verbindung zu vergangenen Zeiten geschaffen, in der die persönliche Bedeutung der Inhalte wichtiger war als schnelles Antworten.

Du willst direkt jemandem eine Freude machen und die Welt weniger einsam machen?

Dann haben wir eine einfache Art für dich das zu tun: Post mit Herz hat ehrenamtlich eine Aktion ins Leben gerufen, mit der sie Einsamkeit verringern möchten. Alles, was du tun musst, ist dir einen Zettel und einen Stift zu packen und einen Brief an einen anderen Menschen zu schreiben. Auf postmitherz.org erhältst du dann die Anschrift einer sozialen Einrichtung, sodass du deinen Brief versenden kannst. Die soziale Einrichtung gibt deinen Brief nach Erhalt an eine einsame Person weiter und liest ihn dieser Person ggf. auch vor. Ab geht die Post! Es kostet dich ein kleines Stück deiner Zeit und eine Briefmarke, aber es bringt euch beiden einen Moment der Verbundenheit und Freude. Denn vor allem an schwierigen, einsamen Tagen kann ein persönlicher, lieber Brief für Kraft und Hoffnung sorgen. Bisher wurden schon über 58.000 Briefe verschickt und damit einsamen Menschen liebe Worte mitgeteilt sowie eine kleine Freude bereitet. Dabei sind auch schon spannende, generationsübergreifende Brieffreundschaften entstanden. Wir würden uns sehr freuen, wenn du auch dabei bist!

Noch nicht ganz überzeugt? Dann lies in diesem Artikel nach, was dir der Prozess des Schreibens bringt.

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Quellen (zum Erweitern klicken)

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